Neues Deutschland
Sozialistische Tageszeitung  •  Freitag, 25. November 2005

25.11.05
Ein irrer Sieg
Von Peter Nowak © 
 
Die Irren werden am Samstag ihren Sieg feiern, heißt es zurzeit in Berlin auf bunten Flyern. Damit ist nicht etwa die große Koalition gemeint. Vielmehr feiert die »Irrenoffensive« ihr 25-jähriges Jubiläum.
1980 wurde die Initiative als Selbstorganisation von Psychiatriepatienten gegründet. Der Begriff »Irre« wurde damals bewusst benutzt und gewissermaßen politisch gegen jene gewendet, die ihn mit abwertender Betonung aussprachen. Nicht nur die Aktivisten der Irrenoffensive fragten damals in Anlehnung an den französischen Philosophen Michel Foucault, wie normal das viel beschworene »Normale« in der Gesellschaft eigentlich ist.
Die Irrenoffensive gibt in unregelmäßigen Abständen eine gleichnamige Zeitschrift heraus. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der Kampf gegen Zwang und Willkür in psychiatrischen Kliniken. Dabei knüpft die Initiative an einen Zweig der außerparlamentarischen Linken der späten 60er Jahren an, der heute weitgehend vergessen ist – der Kampf gegen die Psychiatrie und die Heimunterbringung. »Die Krankheit zur Waffe machen«, hieß damals die radikale Parole des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK).
Die Irrenoffensive muss auch im Jahr 2005 gegen Willkür und Zwang in der Psychiatrie kämpfen. Doch gerade in den letzten Monaten hat sie dabei einige Erfolge erzielt. Deshalb wurde auch das Jubiläum zur Siegesfeier erklärt. Das Oberlandesgericht Celle hat kürzlich die psychiatrische Zwangsbehandlung als unzulässig erklärt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach einer Patientin Schadenersatz zu, weil sie gegen ihren Willen in einer Klinik festgehalten wurde und ihr Medikamente verabreicht wurden.
Zur Jubiläumsfeier am Samstag hat sich sogar Prominenz angesagt. Dazu gehört auch Gerd Postel. Der gelernte Postbote hat es mit gefälschten Zertifikationen bis zum Chefarzt einer forensischen Klinik geschafft. Auch nach seiner Enttarnung sagen seine Patienten nur Gutes von ihm. Ein größerer Schlag gegen die Psychiatrie als die Karriere Postels ist nach Auffassung der Irrenoffensive gar nicht denkbar.

www.irren-offensive.de

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