Ich freue mich sehr und empfinde es als eine Ehre bei diesem Fest die Festrede halten zu dürfen. Es ist eine öffentliche Demonstration, dass die Irren-Offensive, und das, was ich inszeniert habe, an einem Strang zieht: einer gewalttätigen Praxis der Psychiatrie das Handwerk zu legen.

Bemerkenswerterweise haben die Irren-Offensive und ich, ohne dass wir voneinander wussten, praktisch zeitgleich Anfang der 80er Jahre auf unterschiedlichen Wegen begonnen, der Psychiatrie in den Arm zu fallen. Während die Irren-Offensive mit Hausbesetzung, Psychiatrie-Besuchen und Zeitung als Gruppe nicht nur in Berlin, sondern auch z.B. beim Gesundheitstag 1981 in Hamburg in Aktion trat, habe ich als Amtsarzt in Flensburg mit Mitteln, die ein Richter später leider für unlauter erklärte, unmittelbar die Zwangseinweisungsrate zwar nicht gleich um 100%, aber doch um 86% gesenkt.

Die Irren-Offensive hat dreierlei erreicht:

1. sie bewies durch ihre bloße Existenz, wie falsch die Verurteilungen durch die psychiatrischen Sprechblasen-Artisten sind, wenn sie den Betroffenen ihre sozialen Fähigkeiten absprechen. In der Irren-Offensive hat sich unabhängig und gegen irgendeine pädagogische oder andere Aufsicht eine Gruppe organisiert. Das 25 jährige Jubiläum ist nun der Beweis, dass dies trotz widriger Bedingungen langfristig erfolgreich gelungen ist.

2. Die Irren-Offensive hat einen Namen gewählt, der aufhorchen lässt, der sie heraushebt, ja in Gegensatz bringt, zu einem wohlgefälligen Opferstatus und der damit verbundenen Jammerei. Von der Psychiatrie werde ich auch deshalb gehasst, weil ich als einer ihrer Oberärzte intimes Wissen über diese Gilde erlangt habe und deshalb darüber berichten kann, wie das mitleidige Gesicht, dass sie dann gelegentlich aufsetzen, tatsächlich rein zynisch ist: eigentlich denken diese Ärzte, „lass mich doch bloß mit dem Gewimmer in Ruhe, es ändert sowieso nichts an der nächsten Depo-Spritze“. Die Irren-Offensive dagegen stiftet Unruhe, beschäftigt sich weniger mit sich selbst, als dass sie den Filz aus Psychiatern und Richtern – da ist die weibliche Form immer mitgedacht - in die Defensive bringt. Sie kündigt sich ja schon von vornherein, ganz offen, als Offensive an. Das schafft allerdings Erwartungen, denen sie dann selbst gerecht werden muss.

3. Womit wir zum Kern des Ganzen kommen: Die Irren-Offensive hat durch das Agieren als politische Gruppe Hand an die Wurzel der psychiatrischen Gewalt gelegt: Denn treibende Kraft der psychiatrischen Gewalt ist ein politischer Wille und ein Herrschaftskalkül, das vom Gesetzgeber verabschiedet in gesetzliche Regelungen gegossen wurde. Täglich wird damit der psychiatrischen Gewalt von Richtern die Legalität verschafft. Mit ihrem politischen Ansatz hat sich die Irren-Offensive zur Avantgarde der Betroffenen gemacht, weil eine politische Frage, wie es die Abschaffung der psychiatrischen Sondergesetze nun mal ist, eben nur mit politischen Mitteln adäquat gelöst werden kann.

Die Irren-Offensive hat ein klar umrissenes Ziel: Abschaffung der Psychiatrie in all ihren heimtückischen Formen. Dieses Ziel steht aber nicht im Vordergrund – es ist vielmehr ein Ziel, auf das zurück geschlossen werden kann, weil die Irren-Offensive laut eigenem Bekunden qua Satzung eine Psychiatrie, die auf Zwang und Gewalt basiert, als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bezeichnet, da, ich zitiere: „sie Individuen den Status eines Menschen mit seinen unveräußerlichen Menschenrechten vorenthält, indem sie deren Seele auf eine biologisch-medizinische Weise als "krank" bezeichnet und von einer biologisch-medizinischen "geistigen Krankheit" spricht, und damit juristisch alle Arten von Gewalt gegen sie rechtfertigt".

Insofern beruft sich die Irren-Offensive in ihrem Handeln zentral auf die Menschenrechte und von dieser Basis aus attackiert sie ganz spezifisch Zwang und Gewalt in der Psychiatrie, also das, was Michel Foucault das „Kerkersystem mit Folterregime“ genannt hat. Es geht ihr also zunächst mal nur um die Abschaffung der Gewaltmaßnahmen der Psychiatrie, oder um es auf ihren Begriff zu bringen, die Abschaffung der Zwangspsychiatrie. Ganz konkret hießt das: Abschaffung aller Sondergesetze für Menschen, die von Psychiatern zu „psychisch Kranken“ erklärt wurden. Daraus folgt logischerweise, dass eine solche Bezeichnung - ich würde schon eher sagen, eine solche Verleumdung - als „psychisch Kranker“ nicht mehr gegen das Einverständnis des Betroffenen gemacht werden könnte, und dann erst recht nicht mehr zu einer Akte führen kann, die dem aktenkundig Gewordenen bisher lebenslang anhängt. Diese diagnostische Vergewaltigung wird unmöglich, sobald kein Arzt eine gesetzliche Grundlage bzw. richterliche Genehmigung für eine Zwangseinweisung und damit wiederum logisch verbundene Zwangsbehandlung und Zwangsbetreuung mehr hat. Dann allerdings wird es auch keine Psychiatrie mehr geben, weil sie die scheinbare „Objektivität“ nicht mehr erzwingen kann, die für eine Krankheitsdefinition unerlässlich ist. Alle wissen, dass sich die psychiatrische Diagnostik selbst ad absurdum geführt hatte, als ich einen Kollegen fragte: „Was mache ich denn, wenn der Patient schweigt?“ Und er darauf antwortete: „dann schreiben sie eben, er hat eine symptomschwache autistische Psychose.“

Das Ziel ist also, dass es keine psychiatrischen Sondergesetze mehr gibt, sondern, wenn überhaupt, können psychiatrische Zwangsmaßnahmen nur noch durch ein jeweils individuelles, positives psychiatrisches Testament privatautonom autorisiert werden, etwa wie jedes sado-masochistische Sexualspiel. Auf dem Weg dahin, ist dann allerdings der umgekehrte Fall auch schon ein Zwischenerfolg, wenn also trotz bestehender psychiatrischer Sondergesetze durch eine Vorausverfügung jede psychiatrische Zwangsmaßnahme rechtsverbindlich untersagt werden kann. Der erste Anlauf dazu war, das von Prof. Thomas Szasz 1981 vorgeschlagene und von der Irren-Offensive 1987 ins Deutsche übersetzte und herausgegebene psychiatrische Testament. Da es keine Rechtswirksamkeit erlangte, gelang der Durchbruch an dieser Stelle aber erst 1999 in Zusammenarbeit mit dem vorhin ausgezeichneten Thomas Saschenbrecker durch eine spezielle Form der Vorsorgevollmacht.

Endlich war das Schlupfloch aus dem psychiatrischen Zwangssystem gefunden. Es bekannt gemacht zu haben, ist ebenfalls das Verdienst der Irren-Offensive.

Ich könnte noch viele Impulse benennen, die die Irren-Offensive gegeben hat und die zu Spin Offs geführt haben. Man kann sie in dem Sammelband ihrer 12 Zeitungen und in der Internetpublikation nachlesen, aus denen auch ich mich schlau gemacht habe. Außerdem läuft ja nachher auch noch der Film über das Foucault Tribunal.

Ich möchte mich stattdessen in dieser Festrede lieber dazu äußern, wie die Auseinandersetzung mit der Psychiatrie sich nun weiter so zugespitzt hat, das es heute einen wirklichen Grund zum Feiern gibt: Das Oberlandesgericht Celle hat am 10. August dieses Jahres in einem Aufsehen erregenden Urteil festgestellt, dass hunderttausendfach praktizierte Zwangsbehandlung rechtswidrig und gar nicht genehmigungsfähig ist. Es stützt sich in seinem Urteil auf ein Urteil des Bundesgerichtshof aus dem Jahr 2000, das damals zwar nur die ambulante Zwangsbehandlung als nicht genehmigungsfähig verurteilt hat, aber die Begründung für das Urteil aus Celle ist die Gleiche wie beim BHG Urteil: Für einen Grundrechte verletzenden Eingriff des Staates – und ich füge hinzu: so dieser Eingriff denn überhaupt legitimiert werden kann – ist ein explizites Gesetz notwendig.
Dieses existiert schlichtweg nicht.

Bemerkenswert ist allerdings, dass das erst 8 Jahre nach Einführung des neuen Betreuungsrecht den Richtern am Bundesgerichtshof aufgefallen ist und es jetzt nochmals 5 Jahre gebraucht hat, bis das Celler Oberlandesgericht bei stationär durchgeführten Zwangsbehandlungen ebenfalls entsprechend geurteilt hat. Ich habe ja bekanntlich auch schon mehrfach Bekanntschaft mit der Justiz gemacht, aber wie die Justiz in der Psychiatrie die systematische und hunderttausendfache schwere Verletzung der Grund- und Menschenrechte aktiv deckt, das spottet jeder Beschreibung.

Obwohl durch das Urteil nur die Zwangsbehandlung endlich als Unrecht erkannt wird, zieht es der Zwangspsychiatrie insgesamt die Beine weg. Das Tückische bei der Psychiatrie ist ja, dass sie sich als medizinische Disziplin ausgibt, obwohl sie tatsächlich nur Teil der Ordnungsmacht ist. Diese falsche Fassade hat es mir ja so leicht gemacht, als gelernter Postbote verschiedentlich unerkannt den Psychiater zu spielen, nur weil ich mir deren stereotype Sprechblasen gemerkt habe. Das gute an der falschen Fassade ist, dass sie für die Psychiatrie nun zur Falle wird, aus der sie nicht mehr heraus kommt: In dem Moment, wo die Zwangsbehandlung fällt, wird die Zwangseinweisung von einer angeblich medizinisch begründeten Maßnahme zur strafenden Freiheitsberaubung. Dafür kann aber keine Krankenversicherung zur Kasse gebeten werden. So wird es einen Dominoeffekt geben: Aus keiner Zwangs behandlung nach Betreuungsrecht folgt, keine Zwangs einweisung nach Betreuungsrecht, da die Krankenkassen keine Strafanstalten bezahlen. Wenn betreuungsrechtlich Zwangsbehandlung nicht mehr geht, wird sie als schwere Grundrechtsverletzung auch nach den PsychKG´s unter Druck geraten, da das Unterbringungsrecht der Länder zum Betreuungsrecht des Bundes subsidiär ist. Ohne Zwangs behandlung nach PsychKG wird aber auch die Zwangs einweisung nach PsychKG fallen.

Übrig bleiben am Ende Pillen nur nach Gusto und psychiatrische Heilkunst als Quacksalberei.

Schöne Aussichten und ein großartiger Erfolg der Irren-Offensive in nur wenigen Jahrzehnten.

Gert Postel


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